22 Mai 2008

"Ärzte ohne Grenzen" zur Situation in Myanmar

Berlin (Deutschland), 22.05.2008 – Dr. Frank Dörner, Geschäftsführer von Médecins Sans Frontières – Ärzte ohne Grenzen e.V., gewährte Wikinews ein Interview zur Arbeit der Hilfsorganisation in Myanmar.

„Ärzte ohne Grenzen“ ist – nach unseren Informationen – seit 1992 in Myanmar tätig. Während andere Hilfsorganisationen laut Presseberichten Schwierigkeiten haben, überhaupt ein Visum für die Einreise zu bekommen, kann Ärzte ohne Grenzen auf eigene Mitarbeiter im Land zurückgreifen, darunter auch viele Einheimische. Wodurch unterscheidet sich die Arbeit der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen von der anderer Hilfsorganisationen? Wie erfolgreich ist die Arbeit Ihrer Organisation jetzt unter den Bedingungen der aktuellen Krise? Gibt es vergleichbare Schwierigkeiten mit den Behörden des Landes?
Antwort von Dr. Frank Dörner:

Ärzte ohne Grenzen arbeitet schon seit 1992 in Birma und hatte bereits vor der Katastrophe 38 internationale und mehr als 1.200 nationale Mitarbeiter im Land, die große Malaria- und HIV/Aids-Behandlungsprojekte betreiben. Wir konnten Mitarbeiter aus den bestehenden Projekten sehr schnell in die stark betroffenen Deltaregion verlegen und die Hilfsmaßnahmen unverzüglich starten. Über 250 Mitarbeiter sind in der Delta-Region aktiv. Sie bilden kleinere Teams und versuchen, zum Teil mit Booten, auch abgelegene Ortschaften zu erreichen. Sie verteilen Nahrungsmittel, Trinkwasser sowie Plastikplanen und bieten medizinische Hilfe an. Insgesamt wurden bisher 275 Tonnen Hilfsgüter im Irrawaddy-Delta verteilt.

Dennoch sind die Maßnahmen insgesamt völlig unangemessen – und das liegt auch an den Restriktionen der Behörden. Zum Beispiel durften vergangene Woche sechs internationale Mitarbeiter, ein Notfallkoordinator und fünf Wasser- und Sanitär-Spezialisten, nach Rangun reisen, doch es werden dringend mehr Wasser- und Sanitärexperten in der betroffenen Region gebraucht. Unsere einheimischen Mitarbeiter leisten viel, aber es fehlt an technischer Expertise, um etwa Trinkwasseraufbereitungsanlagen zu installieren und zu betreiben. Dutzende zusätzliche Mitarbeiter stehen zum Abflug bereit und warten noch auf eine Einreiseerlaubnis der birmanischen Behörden.

Worin besteht gegenwärtig der Schwerpunkt der Arbeit von Ärzte ohne Grenzen in Myanmar?
Trinkwasser, Nahrung und ein wenn auch provisorisches Dach über dem Kopf – das ist für die Überlebenden nach einer solchen Naturkatastrophe das Wichtigste. Deshalb verteilen unsere Teams Trinkwasser, Zelte, Plastikplanen, Wassercontainer sowie Reis, Öl und therapeutische Fertignahrung. Daneben müssen Verletzte und Kranke so schnell wie möglich medizinisch versorgt werden. Zunehmend wird es wichtig, auch an die Prävention von Krankheiten wie Malaria zu denken. Außerdem sind psychologische Probleme der Überlebenden zu erwarten.

In den Medien in Deutschland war in den letzten Tagen zu lesen, dass die Spendenbereitschaft der Deutschen erheblich unter dem Niveau früherer Spendenaufrufe bei anderen Krisenherden zurückgeblieben ist. Dazu zwei Fragen
a. Ist das auch Ihr Eindruck? b. Wie sieht es konkret mit der Spendensituation bei Ärzte ohne Grenzen aus?
Die Spendenresonanz in der Folge des Zyklons in Myanmar ist eher gering. Die deutsche Sektion von Ärzte ohne Grenzen hat bislang ca. 300.000 Euro auf Myanmar bezogene Spenden erhalten. Zwar gehen auch bei den anderen Ärzte-ohne-Grenzen-Sektionen Spenden für Birma ein, aber die Tendenz ist die gleiche: Das Spendenaufkommen bleibt weit hinter den bislang geplanten Kosten zurück, denn Ärzte ohne Grenzen wird derzeitigen Schätzungen zufolge mindestens acht Millionen Euro für die Fluthilfe in Myanmar einsetzen. Dafür, dass das Spendenaufkommen eher gering ist, gibt es wohl viele verschiedene Gründe.

Welche Gründe sind Ihrer Ansicht für die schwache Spendenbereitschaft in Deutschland verantwortlich? Gibt es da Ihrer Ansicht nach einen Zusammenhang mit den Berichten über bürokratische Hürden und Beschlagnahmung von Hilfslieferungen durch das Militär in Myanmar?
Wie gesagt, wir wissen nicht genau, wovon die Bereitschaft der Menschen, zu Spenden im einzelnen abhängt und wollen uns daher an Spekulationen zu dem Thema nicht beteiligen.

Ist die eventuelle Sorge von potentiellen Spendern in Deutschland berechtigt, dass ihre Spenden möglicherweise nicht ihr Ziel erreichen?
Ärzte ohne Grenzen kann derzeit die Hilfsmaßnahmen zwar nicht so schnell ausdehnen, wie wir es wünschen, und die Bewegungsfreiheit unserer internationalen Kräfte ist eingeschränkt. Aber hinsichtlich der Verwendung der Gelder gilt für unsere Organisation: Wo wir helfen, tun wir dies wie in allen anderen Einsatzländern nach den Prinzipien der Bedürftigkeit und ohne jede politische Einflussnahme der Behörden. D.h., unsere Mitarbeiter verteilen Decken, Nahrung oder Medikamente direkt an die Betroffenen. Wir geben sozusagen die Spende nicht aus der Hand, etwa an Behörden, das Militär oder andere lokale Organisationen.

Im Zusammenhang mit den Problemen bei UNICEF-Deutschland war von Zweckentfremdung von Spendengeldern die Rede. Der gesamte Vorstand von UNICEF-Deutschland trat aufgrund der Vorwürfe zurück. Belastet diese Krise der Leitung von UNICEF-Deutschland auch die Arbeit anderer Hilfsorganisationen, bspw. von Ärzte ohne Grenzen?
Inwieweit die Debatte um UNICEF-Deutschland mittel- oder langfristig zu einem Vertrauensverlust auch anderer eigentlich unbeteiligter Organisationen führt, ist schwer zu sagen. Wir haben jedenfalls keine unmittelbaren Konsequenzen nach den Problemen bei UNICEF-Deutschland beobachten können.

Wie ist in Ihrer Organisation, also bei Ärzte ohne Grenzen, das Verhältnis der Verwendung von Spendengeldern für den notwendigen Verwaltungsaufwand der Organisation und der effektiven Hilfe, die bei den Menschen in den Krisengebieten tatsächlich ankommt?
Die deutsche Sektion von Ärzte ohne Grenzen hat im Jahre 2006 – die Zahlen für 2007 stehen erst in einigen Wochen zur Verfügung – rund 51 Millionen Euro ausgegeben. Davon gingen 87 Prozent in die Projekte in rund 60 Einsatzländern. Die verbleibenden 13 Prozent wurden für Öffentlichkeitsarbeit, Spendenwerbung und allgemeine Verwaltung aufgewendet.

Wie notwendig sind gegenwärtig Spenden zur Unterstützung Ihrer Arbeit in Myanmar?
Wir brauchen dringend mehr Unterstützung, denn das Ausmaß der Katastrophe ist enorm. Wir können helfen, doch natürlich muss das alles finanziert werden. Wie bereits erwähnt, wird unsere Organisation derzeitigen Schätzungen zufolge mindestens acht Millionen Euro für die Nothilfe im Irrawaddy-Delta ausgeben. Bislang haben wir nur einen Bruchteil dieser Summe erhalten, können die Hilfsmaßnahmen aber vorerst aus einem speziellen Nothilfetopf vorfinanzieren.

Können Sie etwas zu den Menschen sagen, die für Ihre Organisation arbeiten? Handelt es sich um Medizinstudenten oder Ärzte, die sich eigens Urlaub für Auslandssätze für Ärzte ohne Grenzen nehmen. Oder wie darf man sich das vorstellen?
Für Ärzte ohne Grenzen sind weltweit jederzeit rund 2000 internationale Mitarbeiter im Einsatz. Das sind Ärzte, Pfleger, Hebammen, Psychologen, Labortechniker, Wasser- und Sanitärspezialisten, Logistiker oder Finanzfachleute, die für meistens sechs bis 15 Monate in eines der 60 Einsatzländer gehen. Manche können sich dafür bei ihrem hiesigen Arbeitgeber beurlauben lassen, andere verlassen ihren bisherigen Arbeitsplatz und gehen mit unserer oder anderen Organisationen mehrmals in verschiedene Krisengebiete. Alle internationalen Mitarbeiter müssen mindestens zwei Jahre Erfahrung in ihrem jeweiligen Berufsfeld mitbringen. Der Einsatz bei Ärzte ohne Grenzen hat freiwilligen Charakter, weil es bei uns statt eines der Qualifikation entsprechenden Gehalts nur eine relativ geringe Aufwandsentschädigung gibt. Das personelle Rückgrat unserer Projekte – und das zeigt sich einmal mehr in Myanmar – sind aber die Mitarbeiter von vor Ort, ebenfalls medizinisches und technisches Personal aber auch Administrationskräfte, Fahrer, Wachleute etc. Es sind knapp 25.000 weltweit. - wikinews